Ganz oder gar nicht: Zu wirklichem Lernen gibt es keine Abkürzung

Kolja Wohlleben

Warum erinnern wir uns oft kaum noch an teure Fortbildungen, die wir erst vor Monaten absolviert haben? Viel Zeit und Geld, das wir in Lernen investieren, bleibt ohne langfristige Wirkung. Kolja Wohlleben erklärt, warum das so ist und wie nachhaltiges Lernen tatsächlich funktioniert. Er wirft einen kritischen Blick auf Lernkultur in Unternehmen und zeigt: Nur wenn wir das richtige lernen, es didaktisch wertvoll vermittelt wird und wir selbst Verantwortung für die Anwendung übernehmen, macht Lernen wirklich einen Unterschied.

Zusammenfassung

Das Problem am Lernen ist, dass es meistens nicht passiert. 

2014 ging in der Zeitschrift Foreign Policy ein Artikel mit dem Titel “How to Get a B.A. in International Relations in 5 Minutes” viral. Im Untertitel versprach ein Professor “Skip the seminars and the student debt: Here's everything you'd actually remember after four years.” 

Internationale Beziehungen waren Teil meines Studiums und es ist noch viel dramatischer: Ich erinnere mich an deutlich weniger als der Artikel beschreibt: Selbst der Name meines Dozenten (meiner Dozentin?) und das Thema meiner Examensarbeit haben sich irgendwann aus meinem Gedächtnis verabschiedet. 

Das meiste, was wir lernen, vergessen wir sehr schnell wieder

Wir alle kennen das Phänomen, ein Buch gelesen oder einen Kurs absolviert zu haben, und schon wenige Monate später kaum noch Wissen daraus wiedergeben zu können. Nur: Wenn ich ein Seminar besuche und ein paar Monate später nicht mehr weiß, was die Inhalte waren, wieso war ich dann da?

Der Zweck von Weiterbildungen

Ein Universitätsstudium hat immerhin noch viele Effekte, die über das bloße Rezitieren von zufällig ausgewählten Curricula hinausgehen: Eine Erweiterung des intellektuellen Horizonts und ganz pragmatisch ein wertvolles Netzwerk. Vor allem ist ein Studium auch ein ausgelagertes Assessment Center, das Arbeitgebern signalisiert: Diese Person kann komplexe intellektuelle Aufgaben erledigen, Vorgaben folgen und hat die Ausdauer, das über Jahre durchzuziehen. 

Unternehmen sei es verziehen, wenn die allgemeine Erweiterung des intellektuellen Horizonts ihrer Belegschaft nicht ganz oben auf der Prioritätenliste steht – auch wenn es die Mitarbeiterbindung fördert. Sie schicken Mitarbeitende auch nicht in erster Linie zu Fortbildungen, damit diese dort ihr persönliches Netzwerk erweitern – auch wenn das ein willkommener Nebeneffekt sein mag. Und schon gar nicht dienen Fortbildungen als Mittel, um festzustellen, ob Mitarbeitende ihrem Job gewachsen sind – dafür gibt es den, nun ja, Job. 

Nein, berufliche Fortbildungen haben ein viel enger gefasstes Ziel als ein Studium: Mitarbeiter sollen dort konkrete Dinge lernen, die sie zu produktiveren – besseren – Arbeitskräften machen. 

Wenn wir aber das meiste, was wir lernen, schnell wieder vergessen, dann stellt sich für Unternehmen tatsächlich die Frage: 

Sollte ich Zeit und Geld in etwas investieren, dessen Inhalte meine Mitarbeitenden in wenigen Monaten vergessen haben? 

Und darauf gibt es eine korrekte Antwort: Nein. 

Wenn Trainings so gestaltet sind, dass sie keine langfristigen Effekte haben, sollte man sie sich tatsächlich einfach sparen. Eine Veranstaltung, in der wir ein paar Stunden PowerPoint Karaoke absitzen, spart im Vergleich zu einer wirklich durchdachten Fortbildung Geld. Aber wenn dafür langfristig gar nichts hängen bleibt, war sie trotzdem zu teuer. 

Solche Fortbildungen sind nur dann günstig, wenn wir der Meinung sind, dass unsere Zeit keinen Wert hat.

Wie lernen Mitarbeitende am besten?

Gleichzeitig können Fortbildungen so wirkungsvoll sein, dass wir noch Jahre später anwenden, was wir gelernt haben. Wirklich durchdachte Lerninitiativen haben das Schicksal von ganzen Organisationen gedreht. Das passiert aber nur unter bestimmten Voraussetzungen: der gründlichen Analyse, der didaktisch wertigen Gestaltung, und der Verantwortungsübernahme durch die Lernenden.

1. Lernen muss sich wirklich lohnen

Erstens, Unternehmen müssen sich überlegen, was überhaupt gebraucht wird.

Wir wissen alle, wie es sich anfühlt, wenn das nicht passiert. Wir sitzen in einer Veranstaltung und denken „Wozu brauche ich das?”, „Das kenne ich doch schon alles” – oder beides. 

Fortbildungen sind immer mit Opportunitätskosten verbunden. Wir sollten uns also sicher sein, dass ein Training wichtiger ist als das, was die Teilnehmenden sonst tun würden. Und dass das Thema der Fortbildung wichtiger ist als Dinge, die sie sonst lernen könnten. Ganz einfach: Unsere Investition sollte den Ertrag wert sein (s. Return on Learning)

Eine Fortbildung zu gewaltfreier Kommunikation kann in manchen Fällen genau das richtige sein – aber sind ungelöste Konflikte und Machtspiele überhaupt unser größtes Problem? Oder entscheiden wir uns gerade für das Thema, weil es “ja nicht schaden kann”?

2. Erklärende Bilder statt abstrakte Kunst

Aber selbst wenn die Inhalte eines Trainings die richtigen sind, müssen sie – zweitens – auch so vermittelt werden, dass sie tatsächlich in unseren Köpfen ankommen

Auch wenn Inhalte eigentlich relevant für uns sind, schaffen sie es nämlich nicht automatisch in unser Gehirn. Einige der häufigsten Fehler, die Trainer machen: 

Sie gestalten Fortbildungen so, dass sie Teilnehmende überlasten (in dem Glauben, dass es gut sei “etwas mal gehört zu haben”). Sie erklären Inhalte zu abstrakt (in dem Glauben, dass Geschichten, Analogien und Humor unseriös seien). Und sie geben, oft in Ermangelung methodischer Fähigkeiten, den Teilnehmenden zu wenig Möglichkeit, die Inhalte anzuwenden und zu diskutieren. 

Gute Trainer geben den wesentlichen Inhalten ihres Trainings ausreichend Raum, erklären bildlich, und geben Anwendung im Zweifel Vorrang vor weiterer Erklärung.

3. Lernen erledigen? Besser nicht!

Aber egal wie gut Trainings gestaltet sind, und wie sehr Trainer ihre Inhalte nach allen Regeln der Kunst verabreichen: Wirklich lernen tun wir nur, wenn wir, drittens, Lernen ernst genug nehmen.

Wenn wir selber Lernen als „erledigt” verstehen, wenn die Tür des Seminarraums sich schließt, dann ist es in dem Moment genau das: erledigt. Ohne wiederholte Anwendung der Inhalte wird auch von einem hervorragenden Training wenig hängen bleiben.

Lernen muss einen Unterschied machen

Im Idealfall sind Lerninhalte – siehe erstens – so genau auf unsere Wirklichkeit zugeschnitten, dass wir  ständig die Gelegenheit haben, sie anzuwenden. Aber selbst dann müssen wir selber die Verantwortung übernehmen, das auch zu tun. Das funktioniert nur über aktive Auseinandersetzung: An einem beliebigen Zeitpunkt Lerninhalte noch einmal zu überfliegen bringt recht wenig. Vor einem schwierigen Gespräch noch einmal zu überlegen, was wir über Deeskalationstechniken gelernt haben, und das dann bewusst zu nutzen, kann im entscheidenden Moment den Unterschied machen.

Und das muss unser Anspruch an Weiterbildungen und unser eigenes Lernen sein: Dass es einen Unterschied macht. Wenn wir zu viele Kompromisse eingehen und zu viel am Lernen sparen wollen, sollten wir es uns nämlich tatsächlich lieber sparen.

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Kolja Wohlleben

Kolja Wohlleben ist Lead Instructional Design bei Masterplan und setzt sich täglich mit spannenden (Lern-)Theorien auseinander. In den Masterplan Shorts und hier im Blog teilt er sein Wissen.
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